Die Energiewende kostet die deutschen Verbraucher laut „Energiewende-Index“ immer mehr Geld.

Merkels Versprechen, die Kosten der Energiewende zu stabilisieren, ist nicht mehr realistisch erreichbar. So stieg der Strompreis für Privathaushalte weiter an. Im europäischen Ausland sanken hingegen die Stromkosten.

Die neue Bundesregierung beginnt die Legislaturperiode mit einer schweren energiepolitischen Hypothek: Die Strompreise für private Haushalte entfernen sich in Deutschland immer weiter vom europäischen Durchschnitt. Das von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einst gegebene Versprechen, die Kosten der Energiewende zu stabilisieren, ist damit nicht mehr realistisch erreichbar.

Das geht aus dem neuen „Energiewende-Index“ der Beratungsgesellschaft McKinsey hervor. Nach den Berechnungen der Experten stieg der hiesige Strompreis für Privathaushalte in den letzten Monaten um weitere 1,4 Prozent auf nunmehr 30,8 Cent pro Kilowattstunde. Im europäischen Ausland sanken hingegen die Stromkosten weiter auf nun noch 20,5 Cent.

„Der Preisabstand zum europäischen Durchschnitt hat sich damit seit Beginn der Index-Erhebung nahezu verdoppelt“, schreibt das Autorenteam um McKinsey-Partner Thomas Vahlenkamp in der Analyse, die der WELT exklusiv vorliegt. Die Experten messen seit nunmehr fünf Jahren in halbjährlichen Rhythmus die Fortschritte der Energiewende anhand von 15 quantifizierbaren Kriterien.

Weil sich die energiepolitische Landschaft seit 2012 stark verändert hat, passte McKinsey seinen Index nun den neuen Bedingungen an. „So wurden einige Kennzahlen, die inzwischen als unkritisch gelten, aus der Analyse entfernt oder anders erfasst. Dazu gehören etwa die politisch vorgegebenen Zielgrößen für den Ausbau von Wind- und Solarenergie in Megawatt.

Sie werden in einem neuen Indikator „Stromerzeugung aus Erneuerbaren“ gemeinsam erfasst, der deren Anteil an der gesamten Stromerzeugung abbildet. Auch die früher problematische Anbindung von Offshore-Windparks ans Stromnetz wird jetzt nicht mehr im Index abgebildet: Das Problem gilt als weitgehend gelöst.

Gleichwohl ergeben die 14 erneuerten Kennzahlen zum Fortgang der Energiewende ein ernüchterndes Bild. Denn insgesamt neun der von der Bundesregierung formulierten Ziele werden nach derzeitigem Stand nicht erreicht, heißt es in der Zusammenfassung. Während bei einem Wert – dem Bau grenzüberschreitender Stromleitungen – nur „leichter Anpassungsbedarf“ festgestellt wird, gelten acht Ziele sogar als völlig „unrealistisch“.

Unrealistisch“: die CO2-Emissionsziele für 2020

Dazu gehört auch das Versprechen, die Industriestrompreise bei 8,5 Cent pro Kilowattstunde zu stabilisieren. Heute liegt der Wert bei 13,4 Cent. Obwohl sich damit in den vergangenen Monaten schon eine Verbesserung ergeben hat, liegt die Zielerreichung immer noch bei nur 42 Prozent und ist in der McKinsey-Bewertung damit „unrealistisch“. Zugleich hätten sich die Kosten für netzstabilisierende Eingriffe seit 2014 auf nunmehr 7,34 Euro pro Megawattstunde verdoppelt.

Ebenso unerreichbar gilt demnach das zentrale Energiewende-Ziel, den CO2-Ausstoß Deutschlands bis 2020 auf 750 Millionen Tonnen zu senken: Der Wert stagniert seit der letzten Indexberechnung bei 916 Millionen Tonnen. Die Senkung des deutschen Primärenergie- und Stromverbrauchs sind ebenfalls politisch gesetzte Ziele, die innerhalb der vorgegebenen Frist als unerreichbar gelten müssen.

Auch bei den Planzahlen zum Ausbau der Stromnetze liefert die Politik nicht. Erstmals hat McKinsey die Bauprojekte nach dem sogenannten EnLAG als auch nach dem Bundesbedarfsplangesetz in den Index aufgenommen. Demnach müssen bis 2020 rund 3582 Kilometer Stromleitungen gebaut werden. Da bis dato erst 816 Kilometer errichtet wurden, geht McKinsey nicht von einer Zielerfüllung aus.

Mehr Arbeitsplätze durch die Energiewende

Immerhin werden fünf Versprechen der Bundesregierung laut Index-Bericht realistischerweise erfüllt werden: Dazu gehören stabile oder wachsende Arbeitsplatzzahlen im Bereich der erneuerbaren Energien und in der Industrie. Die bislang geringen Stromausfälle und die weiterhin hohe „gesicherte Reservemarge“ im Kraftwerkspark lassen erwarten, dass die Zusage einer hohen Versorgungssicherheit mit Strom ebenfalls erfüllt wird.

Als gänzlich neuen Indikator nahm McKinsey die Stromproduktion erneuerbarer Energien in die Berechnungen auf. Erstmals wird also nicht die theoretisch abrufbare Leistung, sondern die tatsächlich produzierte Arbeit betrachtet. Da das im Jahre 2010 ausgegebene Ziel eines Ökostrom-Anteils von 35 Prozent bereits heute erreicht ist, fällt die Kenngröße mit einem aktuellen Zielerreichungswert von 143 Prozent in die Kategorie „realistisch“.

Als indirekte Folge des Weltklimavertrags von Paris wich McKinsey bei der aktuellen Analyse erstmals von der bisherigen Methode ab, nur zahlenmäßig erfassbare Größen der Energiewende zu betrachten. Denn in Paris hatte die Bundesregierung die weitgehende „Dekarbonisierung“ Deutschlands auch im Bereich Verkehr und Heizungswärme zugesagt. Feste Kenngrößen liegen hierfür aber kaum vor, sodass McKinsey dazu keine quantitativen, sondern nur qualitative Aussagen macht.

Andere Staaten leben bei E-Mobilität vor

So blieben etwa die Fortschritte im Bereich E-Auto-Quote „überschaubar“, urteilt McKinsey: „Der Anteil der Elektroautos an den Neuzulassungen lag 2016 immer noch unterhalb von ein Prozent, während Nachbarstaaten wie Frankreich, Österreich oder die skandinavischen Ländern hier bereits deutlich weiter sind.“

Auch bei der „Wärmewende“ erreiche Deutschland die gesteckten Teilziele nicht. Zwar seien im Neubau sichtbare Fortschritte hin zu klimaneutralen Gebäuden zu verzeichnen. Doch die Sanierung im Bestandsbau komme nur schleppend voran. „Selbst die bereits relativ niedrig angesetzte Sanierungsquote von zwei Prozent gilt als noch nicht erreicht“, stellt McKinsey fest. Genaue Bestimmungen seien allerdings schwierig, da es keine öffentlich verfügbaren Daten zum energetischen Status quo des Gebäudebestands gebe.

Die kommende Bundesregierung müsse „zeitnah einen neuen, umfassenden Kompass für die Energiewende entwickeln“, fordert das Autorenteam des Energiewende-Indizes: „Mit einer bloßen Fortsetzung der bisherigen ,Fahrt auf Sicht‘ wird Deutschland der anstehenden Aufgabe nicht gerecht.“ Allen Akteuren fehle es an Planungssicherheit, um rechtzeitig die richtigen Schritte einzuleiten, mahnt McKinsey: „Die Folgen sind unnötig hohe Kosten für Stromverbraucher und Steuerzahler auf der ökonomischen Seite und das Verfehlen unserer Klimaschutzziele auf der ökologischen.(Quelle: Welt.de von Daniel Wetzel – Quelle: Infografik Die Welt)