Düsseldorf. Der Metall verarbeitende Betrieb in Nordrhein-Westfalen hat eigentlich schon Sorgen genug. Das Unternehmen, das rund 150 Mitarbeiter beschäftigt, beliefert vor allem Hersteller von Windrädern. Lange war das ein lukratives Geschäft, aber der Boom ist längst vorbei. Der Bau neuer Windanlagen hat sich deutlich verlangsamt.

Und jetzt auch noch das: Die Stromkosten steigen wieder sprunghaft an. Bis 2019 hat sich das Unternehmen die Megawattstunde für 20 bis 25 Euro gesichert. Im nächsten Vertrag sind aber mehr als 40 Euro fällig. Bei einem Jahresverbrauch von 5000 Megawattstunden wird sich die Stromrechnung um fast 100.000 Euro erhöhen. Bei einem Umsatz von 30 Millionen Euro und ohnehin schrumpfenden Gewinnen ist das für den Mittelständler nur schwer zu verkraften.

„Es kommen derzeit viele Unternehmen auf mich zu, deren Verträge im kommenden Jahr auslaufen – und die jetzt über die künftige Stromrechnung erschrocken sind“, sagt Wolfgang Hahn, Geschäftsführer bei der Energie Consulting GmbH (ECG). Der Metall verarbeitende Betrieb ist einer von 2000 Großkunden, die sich von der ECG beim Einkauf von Energie beraten lassen.

„Innerhalb von zwei Jahren haben sich die Strompreise verdoppelt“, sagt Hahn und weiß aus vielen Gesprächen: „Der Anstieg der Strompreise ist für viele Großkunden sehr schmerzhaft.“

Dabei schienen die Zeiten, als sich die Industrie lautstark über die Notierungen im Großhandel beklagen musste, endlich vorbei. Nach Rekordwerten vor rund zehn Jahren, als die Preise auf über 90 Euro die Megawattstunde geklettert waren, verringerten sie sich stetig und erreichten im Februar 2016 einen Tiefpunkt.

Damals kostete die Megawattstunde am Terminmarkt der Leipziger Energiebörse EEX zur Lieferung im kommenden Jahr kurzzeitig weniger als 20 Euro. Inzwischen ist der Terminkontrakt aber wieder stabil auf über 40 Euro geklettert. Aktuell kostet er 41,65 Euro. Getrieben wurden die Strompreise vor allem von den ebenfalls steigenden Notierungen an den weltweiten Öl-, Kohle- und Gasmärkten.

Eine Trendwende ist nicht in Sicht. RWE-Finanzchef Markus Krebber erklärte jüngst, er rechne in Deutschland mit weiter steigenden Strompreisen – und alle Indikatoren geben ihm recht.

„Seit 2016 steigen die Strompreise fast kontinuierlich an“, bestätigt Barbara Minderjahn, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). „Dies ist ein Trend, der zu einer zunehmenden Belastung für die deutsche Industrie geworden ist.“

Großkonzerne haben sich in der Regel langfristig eingedeckt…

Dabei ist die Lage von Unternehmen zu Unternehmen noch sehr unterschiedlich. Je nachdem, wie kurz- oder langfristig sich die Kunden in ihren Verträgen mit Strom eingedeckt haben.

Die Mitglieder des VIK kommen noch weitgehend gut mit dem Trend zurecht. Der Verband vertritt die energieintensiven Unternehmen aus Branchen wie Stahl, Aluminium, Chemie oder Papier. Die Großkonzerne betreiben inzwischen ein umfangreiches Energiekostenmanagement.

Martin Iffert, Vorstandschef des Aluminiumherstellers Trimet, beispielsweise ist noch entspannt. Der derzeit hohe Strompreis sei eine Folge des weltweit gestiegenen Kohlepreises, der dadurch auch den Weltmarktpreis für Aluminium maßgeblich mitbestimme, erläutert Iffert: „Durch das derzeitige Preisniveau für Aluminiumprodukte kann Trimet die Verteuerung des Rohstoffs Strom kompensieren.“

Die großen Industriekunden mit ihren professionellen Energieabteilungen haben sich häufig langfristig und in einem großen Umfang am Terminmarkt eingedeckt, als die Preise im Keller waren. Aber in der Regel auch nicht komplett. „Ich habe Kunden, die haben sich die niedrigen Notierungen bis 2021 oder sogar 2022 gesichert“, sagt ECG-Geschäftsführer Hahn: „Aber natürlich müssen selbst engagierte Stromkunden jetzt einzelne Tranchen zukaufen.“

Im Klartext: Selbst wer vorausschauend eingekauft hat, hat sich in der Regel nicht vollständig abgesichert – und muss jetzt zu höheren Preisen Teilmengen von 20 oder 30 Prozent zukaufen.

Die Unternehmen selbst halten sich bedeckt, schließlich sind die Stromkosten wettbewerbsrelevant – und jeder Anstieg der Kosten kritisch. „Energiepreise sind für die chemische Industrie natürlich ein entscheidender Faktor“, erläutert ein Sprecher des Leverkusener Chemiekonzerns Covestro. Beispielsweise würden bei der Produktion von Chlor, das für rund zwei Drittel aller chemischen Produkte benötigt werde, rund ein Drittel der Herstellungskosten auf Energie entfallen.

Ins Detail wollte der Sprecher zur Stromrechnung des Konzerns nicht gehen. Insgesamt könne Covestro bei den derzeitigen Strompreisen in Deutschland noch wettbewerbsfähig produzieren, sagte er zwar. Verglichen mit dem Werk Baytown in den USA sei der Strompreis, den Covestro in Nordrhein-Westfalen bezahle, aber „wesentlich höher“.

Das Unternehmen klagt vor allem über die mangelnde „Planbarkeit“: „Gerade die Entwicklung der Energiepreise ist in Deutschland nicht wirklich planbar.“

Viele Mittelständler müssen jetzt teure Verträge abschließen…

Während der Strompreisanstieg die großen Konzerne erst mit Zeitverzug trifft, werden viele Mittelständler schon jetzt kalt erwischt. Mittelständische Unternehmen haben „häufig nicht langfristig vorgesorgt“, als die Preise im Keller waren, wie Berater Hahn berichtet. „Es gibt Unternehmen, die haben damals quasi Roulette gespielt. Jetzt stellen sie fest, dass sie mit Zitronen gehandelt haben.“ Bei den sinkenden Preisen seien viele Unternehmen träge geworden. „Jetzt ist die Ernüchterung groß.“

Dabei waren die Preise Anfang 2016 auf einem Niveau, das die Stromproduzenten auf Dauer nicht aushalten konnten. Während der Markt mit Wind- und Solarstrom überschwemmt wurde, den die Betreiber zu festen Vergütungen einspeisen dürfen, baute sich ein gewaltiges Überangebot in Atom-, Kohle- und Gaskraftwerken auf.

Zuerst wurden Gaskraftwerke aus dem Markt gedrängt, die sich wegen hoher Brennstoffkosten erst jenseits von 50 Euro rechnen – und damit nur noch in Spitzenzeiten. Und auch Steinkohleanlagen mit Produktionskosten von deutlich mehr als 30 Euro waren kaum noch rentabel. Nur noch Atom- und Braunkohleanlagen warfen auskömmliche Renditen ab.

Für die Betreiber von Steinkohle- und Gaskraftwerken hat sich die Lage auch noch nicht entscheidend verbessert. Zwar ist der Großhandelsstrompreis gestiegen – aber auch die Notierungen für Gas und Steinkohle sind geklettert. Zudem sind in den vergangenen Monaten die Preise für Emissionszertifikate, die die Stromproduzenten beim Ausstoß des klimaschädlichen CO2 benötigen, nach oben geschossen.

Entscheidend sind die Spreads, die die Differenz zwischen Großhandelspreisen auf der einen Seite und den Preisen für Brennstoffe und CO2-Zertifikaten auf der anderen Seite messen. Sie sind für Strom in der Grundlast, also Zeiten mit durchschnittlicher Nachfrage, aus Steinkohlekraftwerken immer noch leicht negativ und bei Gasanlagen sogar dunkelrot.

In Spitzenzeiten, wenn die Nachfrage besonders hoch ist, rechnen sich zwar Steinkohlekraftwerke fast immer, aber Gaskraftwerke haben es selbst dann noch schwer. Lediglich Braunkohle- und Atomkraftwerke werfen, egal zu welcher Zeit, kräftige Gewinne ab.

Die Preiserhöhungen im Stromgroßhandel waren zuletzt aber zum Teil so heftig, dass sie nach Einschätzung von Marktteilnehmern nicht nur von den Brennstoffkosten, sondern auch von Spekulanten getrieben werden. „Alleine in den vergangenen zehn Wochen ist der Future für 2019 um sieben Euro gestiegen“, sagt ein Händler. Das lasse sich fundamental nicht erklären. Er hat eine andere Erklärung: „Es gibt auch im Strommarkt inzwischen viele Hedgefonds, die den Preis treiben.“

Und jetzt? Sollen die Unternehmen hoffen, dass die Preise wieder sinken? „Auch bei den aktuellen Preisen empfehle ich meinen Kunden, sich größere Tranchen langfristig bis 2021, 2022 oder sogar 2023 zu sichern“, sagt Energieberater Hahn. Die Preise hätten sich zwar verdoppelt, im langfristigen Vergleich seien sie aber noch gemäßigt. Und: „Es gibt keine Anzeichen, dass die Strompreise wieder sinken“, hält Hahn fest: „Im Gegenteil, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es weiter aufwärtsgeht.“ (Quelle: Handelsblatt.com)