Atomkraftwerke abgeschaltet, kein Wind seit Wochen und Gaskraftwerke fahren runter – die hohen Temperaturen verknappen das Angebot. Die Kunden müssen sich auf steigende Preise einstellen.

Das Gaskraftwerk Mitte in Berlin steigt aus. Der Betreiber Vattenfall teilte mit, die Grenze der zulässigen Temperatur für die Einleitung von Kühlwasser sei erreicht. Bis 20. August geht das Kraftwerk nicht wieder ans Netz. Das ist zwar ein Einzelfall. Doch die Zahl der Einzelfälle wird mit jedem Tag größer. Die Hitze bringt die Energiebranche ins Schwitzen. Mehrere Atomkraftwerke haben ihre Leistung teils drastisch gedrosselt. Schon Mitte vergangener Woche schaltete der Energiekonzern EnBW einen Block eines Kohlekraftwerks im Karlsruher Rheinhafen ab.

In Baden-Württemberg können mehrere Großanlagen entlang des Rheins nur noch mit Ausnahmegenehmigungen der Landesregierung und unter verschärfter Kontrolle betrieben werden. Denn die Temperatur des Flusswassers liegt nah an der kritischen Schwelle von 28 Grad, von da an sind die Lebewesen in Fließgewässern akut bedroht. Hinzu kommt, dass es aufgrund der niedrigen Wasserstände beim Nachschub mit Steinkohle klemmt. Die Binnenschiffe können nicht mehr voll beladen werden.

Das verknappte Angebot macht sich bei den Großhandelspreisen bemerkbar. Der Fachdienst Montel berichtet, dass kurzfristig für Freitag benötigter Strom (Spotmarkt) zu den höchsten Preisen seit acht Monaten gehandelt wurde. Das liegt im Trend. Seit Wochen geht es nach oben. Der Durchschnittswert am Spotmarkt ist von Mai auf Juni um ein Viertel geklettert. Im Juli gab es ein weiteres Plus von drei Prozent: Die 43,79 Euro pro Megawattstunde (4,379 Cent pro Kilowattstunde) sind rund ein Drittel mehr als im Vorjahresmonat. Christian Buske, Bereichsleiter Energievertrieb beim Verbraucherprotal Verivox, beschreibt den Mechanismus so: Wenn modernere Kraftwerke wegen hoher Wassertemperatur in den Flüssen nicht mehr produzieren dürften, gingen ältere, teure Kraftwerke ans Netz, „die das Preisniveau nach oben drücken“.

Die konstant trockene und warme Witterung hat aber noch einen weiteren Effekt: Seit mehr als zehn Wochen weht der Wind kaum noch. „Deshalb stand relativ wenig Windstrom zur Verfügung. Das schlägt durch, denn er trägt im erheblich höheren Maß zur Stromversorgung bei als die Photovoltaik, die von viel Sonne profitiert“, erläutert Carlos Perez Linkenheil vom Berliner Beratungs- und Analysehaus Energy Brainpool.

Deshalb stand relativ wenig Windstrom zur Verfügung. Das schlägt durch, denn er trägt im erheblich höheren Maß zur Stromversorgung bei als die Photovoltaik, die von viel Sonne profitiert. Carlos Perez Linkenheil vom Berliner Beratungs- und Analysehaus Energy Brainpool.

Wie sich diese Entwicklungen letztlich auf die Stromrechnungen der Verbraucher auswirken, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Einmütig heißt es unter Experten, dass dies auch davon abhänge, wie lange das Hochsommerwetter noch anhält. Klar ist, dass sich die Lage mit jedem heißen Tag weiter verschärft.

Zumal auch Geschehnisse in den Nachbarländern bei der Strombörse durchschlagen, etwa wenn Stromexporte nach Frankreich steigen. Dort wurden bereits die ersten Atomreaktoren heruntergefahren.

Klar ist auch, dass Versorgungsunternehmen, die nun teuren Strom zukaufen müssen, versuchen werden, die höheren Kosten an die Kunden weiterzugeben. Das Ausmaß dieses Effekts ist schwer zu fassen, da Stadtwerke und Co nur einen Teil der Energie auf die Schnelle einkaufen. Ein großer Teil ist über langfristige Verträge abgesichert. Hinzu kommt, dass ohnehin etwa zwei Drittel der privaten Stromrechnungen von staatlichen Abgaben und Steuern bestimmt werden.

Bei all dem spielen auch längerfristige Entwicklungen eine wichtige Rolle. Für Perez Linkenheil ist klar: „Der Haupttreiber der Strompreise sind nach wie vor die Rohstoffpreise, insbesondere für Gas und Steinkohle.“ Deren Entwicklung hat wiederum mit dem Ölpreis zu tun, der seit Jahresanfang kräftig zugelegt hat. „Das hat die Händler nervös gemacht, die dann davon ausgehen, dass Energie insgesamt teurer wird. Da schlägt ein marktpsychologischer Effekt durch, der stärker ausgeprägt ist als viele Privatkunden es sich ausmalen“, erläutert Verivox-Experte Buske. Und er ergänzt: „Zudem macht sich der deutlich gestiegene CO2-Preis bemerkbar.“ Und zwar gewaltig: Innerhalb eines Jahres hat er sich mehr als verdreifacht.

Es geht dabei um Emissionszertifikate, die Kohle- und Gaskraftwerke kaufen müssen, um den Klimakiller Kohlendioxid in die Luft blasen zu dürfen. Jahrelang dümpelte der Preis zwischen fünf und acht Euro pro Tonne. Derzeit sind es knapp 17,60 Euro. Der steile Anstieg hat einer politischen Entscheidung zu tun. Die EU-Kommission hat beschlossen, die Menge der Zertifikate von 2021 an um 2,2 Prozent zu verringern.

Zudem wirkt von Anfang nächsten Jahres an die sogenannte Marktstabilisierungsreserve. Um Preise hoch zu halten, kann bis zu einem Viertel der Verschmutzungsrechte vom Markt genommen werden.

Offensichtlich werden nun Zertifikate gehortet – in der Hoffnung sie später noch teurer zu verkaufen. Diese Spekulation treibt die Notierungen immer weiter in die Höhe.

Umweltschützer hatten in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass die CO2-Zertifikate zu billig waren. Sie hätten damit für Kraftwerksbetreiber und Industrieunternehmen keinen Anreiz gegeben, sich klimafreundlich zu verhalten. Lange Zeit galt: Von 15 Euro an bekommen es Betreiber von Kohlekraftwerken richtig zu spüren. Allerdings fragen sich Umweltschützer nun, ob sich das hohe Preisniveau dauerhaft halten kann oder ob sich hier eine Spekulationsblase bildet. Die Energiehändler jedenfalls gehen davon aus, dass es mit den steigenden Preisen beim Strom so weitergeht. Das lässt sich am Terminmarkt ablesen. Dort werden zukünftige Stromlieferungen en gros gehandelt. Der Durchschnittspreis für Lieferungen innerhalb der folgenden zwölf Monate hat sich seit April 2016 so gut wie verdoppelt.

Atomausstieg rückt näher…

Zuvor war es fast zehn Jahre lang tendenziell immer weiter nach unten gegangen. Der Hauptgrund: Mit dem Ausbau der Erneuerbaren wuchs das Stromangebot kontinuierlich. Zugleich liefen die alten konventionellen Kraftwerke immer weiter. Ein Überangebot entstand. Die Betreiber von Kohle- und Atomkraftwerken konnten aber bei den sinkenden Preisen immer mitgehen, da die Investitionen für diese Anlagen längst abbezahlt waren. Niedrige CO2- und Kohlepreise verstärkten diesen Effekt.

Doch Atommeiler werden künftig nicht nur bei Hitze heruntergefahren. Der Atomausstieg rückt näher. Ende 2022 soll Schluss sein. Schon nächstes Jahr geht das AKW Philippsburg vom Netz. Alte Steinkohlekraftwerke wurden schon stillgelegt und viele weitere könnten folgen: „Es gibt jede Menge Spekulationen über die Auswirkungen eines möglichen Kohleausstiegs“, erläutert Perez Linkenheil. Für ihn ist aufgrund dieses Szenarios klar: „Insofern die Rohstoffpreise der aktuellen Richtung folgen, werden die Strompreise in nächster Zeit weiter steigen.“ Buske sieht das ähnlich. Und er erwartet, dass sich dieser Trend fortsetzt: „Denn Versorgungsunternehmen, die jetzt am Terminmarkt langfristig einkaufen müssen, haben es mit einem erheblich höheren Preisniveau als vor zwei Jahren zu tun. Wenn die Großhandelspreise auf ihrem aktuellen Niveau bleiben, dann dürfte das zu spürbaren Preiserhöhungen für Stromkunden führen.“

Und was wird aus dem dämpfenden Effekt durch den Ausbau der Erneuerbaren? „Der durch den Ausbaupfad des EEG 2017 regulierte Ausbau erneuerbarer Energien hat in naher Zukunft nur einen geringen Einfluss auf die Strompreise“, sagt Perez Linkenheil. Die Bundesregierung hat bei der neuesten Variante des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) jährliche Obergrenzen für den Zubau bei Solar- und Windenergie festgelegt, die von Umweltschützern und der Branche der Erneuerbaren als Bremse für den Öko-Strom kritisiert werden. (Quelle: http://www.fr.de/Frank-Thomas Wenzel)